Fahrgastpotential
Im Untersuchungsbericht des Planungsbüros Spieckermann (im folgenden: SpU) zur Reaktivierung der Tecklenburger Nordbahn werden dort die Gesamt-Einwohnerzahlen der Gemeinden Recke, Mettingen, Westerkappeln und Lotte zugrunde gelegt.
Recke 12.306
Mettingen 12.226
Westerkappeln 11.289
Lotte 13.456
also insgesamt 49.277 Einwohner (im Jahr 2018)
Wegen der erheblichen Entfernung verschiedener Ortsteile Westerkappelns stellt die TN für deren Bewohner objektiv betrachtet nur für wenige Berufs- und Ausbildungsauspendler zur Erreichung ihrer Ziele überhaupt eine Option dar (was auch für mehrere Ortsteile von Lotte und Recke gilt). Zu berücksichtigen ist nämlich, dass eine Anreise aus diesen Ortsteilen zu den jeweiligen Bahnhöfen, Umstieg in die Bahn und häufig ein weiterer Umstieg in OS Stadtbusse für viele Pendler erheblich umständlicher als mit dem PKW wäre. Deutlich weniger Haltestellen der TN als z.B. bei der heutigen Buslinie S10 sowie unterschiedlichste Ziele in Randbereichen und verschiedenen Stadtteilen Osnabrücks würden die Fahrt mit der TN insbesondere zeit- und kostenaufwendiger gestalten.
Nachfolgend werden nur die von der Bahn tangierten Ortsteile angegeben, deren Einwohnerzahlen aus 04/2018 stammen. Nur diese können überhaupt zu einer Potentialanalyse herangezogen werden.
Lotte/Büren 4.567
Lotte/Wersen 3.447
Westerkappeln Ortskern 5.730
Mettingen incl. Schlickelde 12.204
Recke Ortslage 6.592
Recke-Espel 1.109
in der Summe 33.649 Einwohner,
also ein Minus von 15.628 gegenüber der in der SpU als Fahrgastpotential genannten Zahl 49.277, welche folglich einen falschen Einfluss auf den Nutzen-Kosten-Indikator hat.
Zu weiteren Verdeutlichung der Westerkappelner Gegebenheiten:
In der Untersuchung wird argumentiert, dass der Ortsmittelpunkt von Westerkappeln auf der Südseite der TN-Bahn liegt. Die Südseite besteht hauptsächlich aus den Bauerschaften/Ortsteilen Handarpe, Hambüren und Lada und bilden zusammen mit der Siedlung Ortfeld den Ortsteil Velpe mit Gewerbegebiet. Sie liegen näher an der Busverbindung Richtung Osnabrück bzw. Ibbenbüren und an der A30, Richtung Hannover und Amsterdam.
Im Industriegebiet Velpe sind eine Vielzahl an Firmen angesiedelt, deren Mitarbeiter keinen Vorteil durch die Tecklenburger Nordbahn hätten!
Berufs- und Ausbildungspendler
Gemäß Pendler-Atlas der Bundesagentur für Arbeit aus 2015 gibt es an der Linie Recke-Mettingen-Westerkappeln-Lotte-Osnabrück 12.465 Beschäftigte, und zwar in beide Richtungen. Bei gemäß SpU/S. 31 erwarteten 5.730 Fahrgästen pro Tag müsste folglich eine erhebliche Zahl der Beschäftigten die Nordbahn benutzen, damit der für eine Finanzierung der TN erforderliche Indikator in der entsprechenden Größenordnung überhaupt erreicht werden kann. Es bleibt nur der Schluss, dass die prognostizierten Fahrgastzahlen der TN unrealistisch überhöht sind .
Laut SpU/Seiten 4/5 sind die Berufs- und Ausbildungsauspendler
– aus Lotte im wesentlichen auf Osnabrück und Westerkappeln ausgerichtet,
– aus Westerkappeln auf Osnabrück und Lotte,
– aus Mettingen auf Ibbenbüren und Osnabrück,
– aus Recke auf Ibbenbüren.
Diese Fakten relativieren bzw. reduzieren das Fahrgastpotenzial des Auspendler insbesondere aus Recke und Mettingen ganz erheblich.
Die folgenden Auspendler-Zahlen (Landesdatenbank, NRW) in Richtung
Mettingen/Osnabrück aus 2015 belegen diese These.
Recke: 425 Auspendler nach Osnabrück und 457 nach Mettingen
Mettingen: 637 nach Osnabrück 3
Westerkappeln: 1.498 nach Osnabrück und 404 nach Lotte
Lotte: 3.122 nach Osnabrück
In der Summe : 5.682 nach Osnabrück
Zu berücksichtigen ist, dass sich diese Auspendlerzahlen gerade aus den Gemeinden mit hoher Osnabrück-Orientierung (Westerkappeln und Lotte) auf deren Gesamteinwohnerzahlen beziehen. Zusammen genommen leben jedoch rund 11.000
Einwohner beider Gemeinden in bahnfernen Ortsteilen, die das Fahrgastpotential der TN wiederum deutlich reduzieren.
Auch wegen der oben erläuterten persönlichen Zielorientierung der meisten Pendler, die aus Westerkappeln und Lotte heraus fächerförmig in alle Bereiche Osnabrücks hinein fahren, verdeutlichen gerade diese Zahlen, dass 5.600 bis 5700 Fahrgäste der TN unrealistisch sind. Denn sicher nur für einen Teil dieser Menschen wäre der Streckenverlauf der TN ein annehmbarer Vorteil.
Umsteiger aus Bus und Auto auf die TN
Folgende Wechsel werden lt. SpU/Seite 31 erwartet:
vom Öffentl. Personennahverkehr(ÖPNV) auf TN – 2.190 Personen
Motorisierten Individualverkehr(MIV) – 2.600
durch Strukturerweiterung – 940
Gesamt – 5.730
Heute befördern die Buslinien R11 täglich über 2.000 und S10 ca.1.250 Fahrgäste. Eine R10 wird gemäß Spiekermann-Planung künftig im 60 Minuten-Takt als Bahnzubringer bis Büren und dann verwandelt als R11 bis Osnabrück-Hbf eingesetzt. Der gegenwärtige S10 (Schnellbus) würde ganz entfallen, und damit allein von Westerkappeln bis OS-Hbf 22 Haltestellen, während die Tecklenburger Nordbahn auf ihrer gesamten Strecke von Recke bis OS-Hbf lediglich 8 Bahnhöfe bedient.
Zum Beispiel entfällt die Haltestelle Gartenkamp, die auch von Arbeitnehmern im Gartenkamp genutzt wird.
Aktuell nutzen nur 4 – 10 % der Pendler die Möglichkeiten des ÖPNV 4 % aus Recke und Mettingen, 10 % entsprechen täglichen 1250 Bus-Fahrgästen (S10). Dagegen fahren
64 % mit Kraftfahrzeugen. Würde die Linie S10 eingestellt, muss sogar davon ausgegangen werden, dass Pendler von der Nutzung des Busses auf das Auto umsteigen, weil die Wege zu den jeweiligen Zielen mit der TN unattraktiv werden. Mögliche Einsparungen beim Umfang des motorisierten Individualverkehrs (MIV) würden dadurch kompensiert werden oder aber der MIV würde sogar noch zunehmen. Wie bereits dargestellt, wäre die TN für die heutigen S10 – Nutzer wegen des ganz anderen Fahrweges und der vielen fehlenden Haltestellen keine Alternative! Auch die Nutzung des geplanten Bahn-Zubringerbusses R10, der die meisten Haltestellen des heutigen S10 anfahren soll, wäre unattraktiv, denn weitere Umstiege wären erforderlich.
Die stärksten Linien sollen durch die Bahn ersetzt werden, welche nicht komfortabler und im Vergleich zur S10 nur auf den ersten Blick schneller wäre.
Ob – wie im Planungsszenario unterstellt – tatsächlich die meisten Nutzer der Busverbindungen auf die Bahn umsteigen, nämlich 2.190 Fahrgäste/ÖPNV-Umsteiger pro Tag gewonnen werden können, ist mehr als fraglich, zumal die geplante R10-Linie (ab Büren als R11) parallel zur TN ebenfalls zum Hbf OS führe.
Eine nennenswerte Zahl von Umstiegen vom Auto auf die Bahn kann in Anbetracht der dargestellten Planungen auch deshalb nicht angenommen werden, weil an den
Bahnhöfen der TN keine oder nur sehr wenige P & R – Plätze vorgesehen und wenn überhaupt, auch nur in sehr geringem Umfang realisierbar sind. Die in der SpU angenommene Zahl der Umsteiger vom MIV auf die TN in der Größenordnung 2.600 muss daher als mehr als unrealistisch bezeichnet werden.
Zukünftige Strukturerweiterungen oder -verbesserungen als Fahrgastpotential anzunehmen, ist zunächst einmal Spekulation. Gewerbliche Erweiterungen müssten in
Bahnnähe entstehen, um für die TN potenziell überhaupt relevant zu sein. 940 TN-Nutzer
zu unterstellen, halten wir deshalb für fragwürdig, besonders in dieser Größenordnung. Geeignet allerdings dafür, den Nutzen-Kosten-Indikator über den erforderlichen Schwellenwert 1 zu heben.
Beförderungszeiten
Laut SpU/Seiten 15/16:
S10 Westerkappeln – OS-Neumarkt 26 min.
R11 – 36 min.
TN OS-Hbf – 17 min.
Durch den evtl. Vorlauf (Wohnort – Westerkappeln/Bahnhof) und oftmals weitere Umstiege in Osnabrück (Altstadtbahnhof oder Hbf) verlängern sich die Fahrzeiten zum eigenen Ziel ganz erheblich. Erreiche ich beispielsweise mit der TN den OS-Hbf auch in 17 min., so bin ich erst nach einem ca. 15-minütigen Fußweg am Neumarkt. Die zusätzliche Zeit mit dem Stadtbus, beispielsweise zu einem Arbeitsplatz z.B. in den östlichen oder südlichen Stadtteilen Osnabrücks, beträgt bei Benutzung der TN ab OS-Hbf incl. Umstieg und Wartezeit ca. 30 min, also von Westerkappeln 45 min. Zu den genannten Fahrtzeiten bleibt festzustellen, dass in der SpU erstens unterschiedene Haltestellen miteinander verglichen werden und zweitens nicht vorhandenen Zeitvorteile der TN vorgeschoben werden.
Reduzierung PKW-km/Verringerung von Emissionen und Kosten/NKI
Eingang in den Nutzen-Kosten-Indikator (NKI) finden auf der volkswirtschaftlichen Nutzen-Seite auch
– eingesparte PKW-km,
– die daraus resultierende Verringerung von Auto-Abgasen
– die Minderung von PKW- und möglichen Unfallkosten
Der methodische Ansatz:
Eingesparte Km-Zahl, verminderte PKW-Kosten und statistische Unfallkosten sind direkt abhängig von der Zahl der MIV-Umsteiger (Motorisierter Individualverkehr).
Je höher die Zahl der MIV-Umsteiger, desto mehr Abgas-Emissionen, PKW-Kosten und Unfallkosten werden eingespart.
Jeder dieser Faktoren wird getrennt bewertet, aber auch getrennt auf der Nutzen-Seite des NKI verbucht. Ist jedoch die Zahl der MIV-Umsteiger zu hoch angesetzt, sind die „Folgefaktoren“ automatisch auch zu hoch.
Die Systematik dieses Verfahrens ermöglicht es, den NKI maßgeblich zu beeinflussen und ihn trotz widriger Voraussetzungen über den Schwellenwert 1 heben !
Zusammenfassung
Für das Fahrgastpotential der TN ist nicht die Gesamteinwohnerzahl der betroffenen Gemeinden heranzuziehen, sondern wegen der ländlichen Struktur der Region nur die von der TN tangierten Orte/Ortsteile . Denn nur für diese Bewohner ist die TN überhaupt eine Option. Auch Arbeitsplätze in Gewerbegebieten liegen häufig von der TN zu weit entfernt.
Berufspendler werden nur in geringem Umfang die TN nutzen, da ihre Zielorientierung oftmals weit von der Streckenführung der TN abweicht, womit bei ihrer Nutzung deutlich Zeit intensivere Fahrten verbunden wären. Schüler werden nach wie vor weitgehend mit Bussen befördert.
Umsteiger aus dem ÖPNV (Busse) und dem MIV sind aus den gleichen Gründen in erheblich geringerem Umfang zu erwarten, als in der Spiekermann-Untersuchung angenommen.
Zeitvorteile sind mit der TN nicht vorhanden. Im Gegenteil verlängern sich die Fahrtzeiten zu den eigenen Zielen in der Regel erheblich.
Der in der Untersuchung errechnete volkswirtschaftliche Nutzen kann aus genannten Gründen nicht erreicht werden. Dem entgegen stehen auch die Reaktivierungskosten von mindestens 35 Mio. €. Im Saldo wird der Nutzen-Kosten-Indikator (NKI) daher absehbar unter dem Schwellenwert 1 sein, womit die Reaktivierung der TN nicht förderungsfähig ist und die TN keinen Eingang in den Verkehrswege-Bedarfsplan für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) des Landes NRW finden kann und darf.